Mittwoch, März 14, 2007

Sonntags im Sitzen

„Sonntags im Sitzen“ - so lautet das Motto des JAZ Rostock, unter dem an zwei Sonntagen im Monat mehr oder minder international bekannte Bands auftreten. Am 11.03. beehrten der britische Solist SJ Esau und die Schwedenband Jeniferever das JAZ.
So gar nicht vertraut mit der JAZ- und JuZe-Szene im allgemeinen und Rostock im Speziellen, irritierte mich schon die Zeitangabe: Beginn zwischen 20.00h und 21.00h. Als wir - sehr deutsch – pünktlich um 20.00h eintreffen, haben wir weder Parkplatzprobleme zu bewältigen, noch müssen wir uns an einer Schlange anstellen. Im Gegenteil, die Tür steht sperrangelweit offen und der Einlasstresen ist unbesetzt.
Also hinein in die „gute“ Stube, die, kaum, dass wir einen Fuß in sie setzen, alle Klischees von Improvisation, jugendlicher Kreativitätsentfaltung und staatlichen Sparmaßnahmen bedient.
Nachdem wir uns davon überzeugen können, dass man noch mitten in den Vorbereitungen steckt, machen wir es uns auf einem Sofa im Foyer bequem und beginnen die Zeit abzusitzen. Über uns prangen auf offen liegenden Rohrleitungen Aufkleber der „Rote Hilfe e.V.“, in denen von „Repressionen“ und „Organen“ die Rede ist. An uns vorbei ziehen Menschen mit kleinen Lastenkarren, die, flankiert von Hunden, die Bar auffüllen.
Gegen halb zehn wechseln wir in den Raum des Geschehens. Gerade ist noch das letzte Sofa herein getragen worden. Auch hier die ersten, haben wir reichlich Zeit, die gerade mal um eine Treppenstufe höher gelegene Bühne zu mustern.
Mit „fragil melancholisch“ und „verträumte Gitarrenmusik“ wird Jeniferever beworben. Es stehen jedoch allein ca. 14 Saiteninstrumente auf der rechten und linken Seite der Bühne. Gänzlich unvertraut mit der Musik, frage ich mich, wie verträumt das noch werden kann? (Ja, Lars, an dieser Stelle bekenne ich: ich kannte Jeniferever vorher gar nicht!) Das Gerücht, dass es um halb elf losgehen soll, wabert durch den Raum. Und tatsächlich, als ich gerade um halb elf zur Toilette gehen will und beim durchqueren des Raums überrascht feststelle, dass dieser sich komplett gefüllt hat, erklingen die ersten Töne von SJ Esau. Vor uns steht ein langer dünner Mann, dessen große Augen an die eines Rehs im Scheinwerferlicht erinnern. Eine E-Gitarre um den Hals, ein Harmonium, zwei Mikros, ein Becken, das mit Hilfe des Gitarrenarms geschlagen wird und Elektronik zu seinen Füßen – die Show ist er. Er nimmt Schleifen auf, spielt sie ein, doppelt sie – er friggelt, fummelt, fremdelt – und beeindruckt. Ein Mann, der den breiten, manchmal fast epischen Sound einer Band zusammenbastelt und diesen mit seinem fragilen Gesang unterfüttert. Die langen Pausen, die die technischen Aspekte erfordern, sind nicht immer sexy, aber wenn er dann endlich loslegt, sich, die Augen geschlossen, in der Musik verliert, dann verzeiht man ihm auch das. Mit seiner leicht unbeholfenen Art hat er die Frauen im Raum binnen Sekunden für sich eingenommen. Aber auch viele der Männer sind beeindruckt als SJ Esau ohne Zugabe mit Taschen bepackt, die Bühne über den Zuschauerraum verlässt.
Inzwischen haben einige Mitglieder von Jeniferever die Bühne betreten, beginnen ihre Instrumente zu stimmen, lassen sich Bier und Wasser auf die Bühne reichen. Zügig wird losgelegt. Nachdem ich auch die Geschlechterfrage des Sängers (!) für mich klären konnte, lehne ich mich in meinem Sessel zurück und, schließe die Augen. Schon nach den ersten Takten wird klar, dass diese Musik, mit allem Respekt für das JAZ, in diesen Räumlichkeiten gefangen ist. Die Soundwände von zwei Gitarren, zwei Bässen, einem raffinierten Schlagzeug und erneut fragilem Gesang erzeugen in mir sofort Bilder von Hallen und Festivals. Ich stelle mir vor, wie sich diese in ihrer Feinheit gewaltige Dichte über tausende von Zuschauern verteilt, fängt und fesselt, um am Ende irgendwo im nirgendwo zu verhallen. Ich schließe die Augen, lasse mich fallen und erreiche fast den Trancezustand. Dennoch - wortkarg, fast ein wenig zu abgebrüht, zieht die Band ihr Set durch. Man ahnt, dass nicht nur uns das Warten ein wenig angefressen hat. Erstaunlicherweise ist die Resonanz des Publikums verhältnismäßig reserviert. Entsprechend gezügelt der Wunsch nach einer Zugabe. Die Band entspricht ihm dennoch und, als wolle sie uns allen noch einmal zeigen was tatsächlich in ihr steckt, spielen uns die Musiker an eine fast zehnminütige Klangwand, stellen sich und uns in den Sturm, geben alles – und ernten nun endlich auch die verdiente Euphorie.
Am Merchandise-Stand treffen wir sie wieder. Sie wirken, als wäre nichts gewesen. Als hätten sie die ganze Zeit da gesessen und nicht noch vor zwei Minuten die Luft vibrieren lassen. Sind entspannt, freundlich, müde.
Das sind wir auch und machen uns gegen ein Uhr, mit Shirt, CD und guten Wünschen bepackt, endlich auf den langen Weg heim.
Wir sehen uns wieder – hoffentlich - zu einer anderen Zeit, aber vor allem an einem anderen, größeren Ort.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

und dann kann ich doch nur sagen, wie gern wär ich ein bub, der solche wände auf die bühne bringt.

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es war schön mit euch dort.

schafswelt hat gesagt…

Mit euch doch auch.

Und die Wände, die kommen auch noch. Mit "No league" seid ihr doch schon dicht dran...:-)