Liebe Leute, es ist soweit, heute habe ich mich das erste Mal wirklich alt gefühlt.
Ich bekenne an dieser Stelle für alle, die es noch nicht wissen, ich habe noch keine Kinder geboren, ich habe nicht geheiratet, ich habe kein Studium abgeschlossen oder andere entsprechend reife Konsequenzen aus meinem bisherigen Leben gezogen.
Dennoch war ich mir bisher meines Alters bewusst ohne aber das Gefühl zu haben, das die Zeit mir davon rennen oder sich mir Möglichkeiten mit den Jahren verschließen würden (obwohl das sicher der Fall ist). Das ich irgendwann aufgehört habe, permanent abzufeiern, das ich dem Alkohol zwar nicht komplett abgeschworen habe, jedoch den Konsum auf ein äußerst geringes Maß heruntergeschraubt habe und das Ausgehen heute für mich ein netter Kinoabend, Essen gehen, sich auf einen Schwatz in der Kneipe treffen oder der Besuch eines guten Konzerts in einem entsprechenden Club bedeutet, habe ich als Teil meiner persönlichen Entwicklung angesehen und nicht als eine unvermeidliche Alterserscheinung. Es liegt schließlich in meinem Ermessen, ob ich zum Tanzen in eine Disko gehen möchte (mache ich mir, die Türpolitik ausblendend, zumindest vor) oder ob ich es mehr schätze zum Livesound meiner Lieblingsbands unter zumindest teilweise Gleichaltrigen die Haxen zu schwingen.
Ich gebe zu, das ich die Charts nicht mehr ansatzweise kenne und auch den Überblick über Tipp oder Topp vernachlässigt habe. Die Prioritäten haben sich halt verschoben und ich lebe in einem Umfeld, das nicht einfordert - wenn ich ehrlich bin auch zu meiner großen Erleichterung - als Trendscout nachfolgender Generationen voll auf dem Laufenden zu sein.
Dennoch gehe ich mit der Zeit, weine nicht meiner Jugend hinterher (den 80ern kann man auch kaum eine Träne nachweinen), höre nicht die Musik meiner „besten“ Jahre, sondern Rock ´n Roll von Menschen, die inzwischen oft deutlich jünger sind als ich, jedoch über entschieden mehr Talent verfügen als manches Comebackopfer und in der Lage sind eine Musik zu machen, die mich trotz zehn und mehr Jahren Altersunterschied erreicht.
Auch merke ich das manche Autoren oder der eine oder andere Maler oder Fotograf meiner Wahl mit Mitte zwanzig angekommen ist, während ich noch mit Mitte dreißig vor mich hinprökele.
Zu meiner noch nicht vorhandenen Verbitterung (die kommt bestimmt noch) macht der Jugendkult nicht vor dem Kulturzirkus halt, wie es in einer entsprechenden Unterhaltung mit einer Galeristin oder verschiedenen Wettbewerben und ihren Altersbegrenzungen deutlich wird.
Doch all das hat bis heute nicht wirklich dazu beigetragen, mich in irgendeiner Form im Abseits zu fühlen. Es wurde registriert ohne das ich jedoch den Eindruck hatte, alt zu sein – zu alt zu sein.
Dieses Gefühl hat mich jedoch heute in Form eines Jungen erreicht, der vielleicht siebzehn oder achtzehn Jahre alt ist, „Leander“ beim Proben für ihren Auftritt in Eindhoven unterstützen soll und daher von einem dünnen Bein auf das andere tretend in meiner Küche steht, scheu unter seinem verzottelten Rock ´n Roll-Haarschnitt hervorschaut und dem man ansieht, das er jetzt lieber überall wäre nur nicht hier, weil ich alles bin was er nicht versteht - was er nicht sein will
Erinnert ihr euch noch daran, wie das war, wenn man bei Freunden zu Besuch war, bei denen man locker abhängen wollte und deren Mutter irgendwann wie ein Exot aus einer anderen Welt (natürlich einer furchtbar langweiligen, spießigen Welt!) reinkam ihren Sohn/Tochter und einen selbst fragte, ob man eben mal mit anpacken könnte und ob man mit essen möchte?
Für einen Moment war ich heute diese Mutter!
Donnerstag, August 10, 2006
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4 Kommentare:
Es gab ein paar Dinge in den Achzigern, für die ich eine leise Träne aus dem Knopfloch pressen würde, z.B. den antifaschistischen Schutzwall rund um Berlin (nur da und nur wegen der Melancholie.)
Auf welcher Seite haben Sie sich denn befunden?
Ich war erst nach dem Fall des antifaschistischen Schutzwalls das erste Mal in Berlin und arbeite jetzt nach, allerdings in vollem Bewusstsein, dass das nur noch Erleben aus zweiter Hand ist.
Aber es soll ziemlich wild im Kessel gewesen sein.
Erleben aus zweiter Hand? Gibt es sowas überhaupt? Man erlebt doch immer alles entweder aus erster Hand oder überhaupt nicht.
Sie haben recht, auch ich hatte mit der Formulierung gehadert, entschloß mich am Ende aber doch dazu, es so zu schreiben, weil das Nachgehen der Spuren ebenso ein Erleben ist wie es die Zeit selbst war.
In gewisserweise eine Dopplung...;-)
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