
Ich bekam ihn, um im letzten Sommer das Übergabeprotokoll des alten Hauses zu unterschreiben.
Schon damals fand ich diesen Satz irritierend, ja regelrecht unpassend, wenn man die Tatsache betrachtete, das der Anlass der zu leistenden Unterschrift bedeutete, etwas zu beenden, um etwas anderes anzufangen.
Seitdem kreuzt er immer wieder meinen Weg, wenn es gilt, sich etwas zu notieren und immer wieder halte ich in der Nutzung inne und betrachte ihn. Es ist einer von diesen „ökologischen“ Einwegkugelschreibern, die statt mit Plastik mit Papier umwickelt sind. (Vielleicht ist das auch einfach nur billiger.) Er ist rot und der Satz ist mit blauen Großbuchstaben darauf gedruckt. Kein Logo, kein Sonderzeichen, keine Prägung verraten mir etwas über Sinn und Herkunft des gedruckten Gedankens. Mein einziger Anhaltspunkt: er kam aus der Hand einer Lehrerin, aber was sagt das schon.
„Be smart – don´t start“ – nicht beginnen, stehen bleiben, sich nicht fortbewegen, innehalten – geistig, körperlich? Leben wir nicht in einer Welt, in der das Gegenteil nicht nur gepredigt sondern regelrecht vorausgesetzt wird? Was könnte jemanden veranlassen, genau diesen Gedanken zu verbreiten? Kontraproduktiv auf die Idee des Fortschreitens zu reagieren und in eigener Verweigerung innezuhalten? Aber nicht nur das, sondern, vielleicht als einen letzten Akt, diese Kampagne zu starten, um auch andere zum Stillstand zu bewegen?
„Be smart – don´t start“ – zwar von Natur aus nicht die Schnellste und auch immer wieder gerne innehaltend, empfinde ich trotzdem ein gewisses Unbehagen beim Lesen dieser Aufforderung. Langsam ist gut, aber gar nichts tun? Immer wieder, so denn ich den Kugelschreiber in die Hand nehme, bin ich befremdet. Vor allem, wenn man bedenkt, wozu ein Kugelschreiber dient. Zum Schreiben einer Einkaufsliste, eines Textes, zum Notieren einer Telefonnummer oder dem Skizzieren einer Idee. Schon diese Aktion steht für einen Beginn.
Das geschriebene Wort, die Zeichnung oder eine Reihe von Zahlen stellen das Glied zwischen Gedanken und Umsetzung, dienen dem Hirn als Brücke zur Handlung, entlassen etwas aus der Intimität des eigenen Kopfes in die Öffentlichkeit und erlauben so Verselbstständigung, sowohl des Gedanken als solchen als auch der Reaktion darauf. Etwas beginnt – ein Anruf, eine Diskussion, ein Meisterwerk oder wieder nur der Wurf des zerknüllten Papiers in den Mülleimer.
„Be smart – don´t start“ – ist nicht letztendlich jeder Schritt, den ich tue, der Beginn von etwas und sei es nur der des Sterbeprozesses der Feuerwanze, die unter meinem Schuh mitgeschleift wird?
Würde statt „Start“ „Stopp“ verwendet werden, würde es mit leichter fallen, zu verstehen. Aber etwas gar nicht erst beginnen? Da fallen mir die zehn Gebote ein, aber auch das will nicht so recht passen, denn mindestens eines von ihnen scheint überholt und andere bedürfen meiner Meinung nach nicht eines Satzes auf einem Kugelschreiber sondern einer guten Kinderstube, einer entsprechenden Sozialisation und einer generell gesunden moralischen Ausprägung – Glaube hin, Glaube her. Ansonsten kann man nur auf ein gutes Rehabilitationsprogramm hoffen, aber das wäre wieder „Stopp“. Gestartet wurde schon – die Verbrecherlaufbahn.
Gestern nimmt Frau Claudia diesen Kugelschreiber in die Hand, liest den Text und ich erkenne ähnliche Denkfalten auf ihrer Stirn wie sie ein jedes Mal die meine zieren.
Sie liest noch einmal, langsam, laut und schaut dann in die Runde. Gerade möchte ich ihr sagen, das auch ich diesen Satz äußerst merkwürdig finde, möchte mich mit ihr darüber austauschen, hören, was sie denkt, da sagt ihr Janne, seines Zeichens Lehrer: „Be smart – don´t start? Das ist doch die Nichtraucher-Kampagne für Teenager.“
Ach so.
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