Manchmal fragte sie sich, warum sie sich nicht dafür bezahlen ließ.
Sie lag, noch immer nackt, auf dem Sofa und hielt ihre Augen geschlossen. Ihre üppigen Brüste wurden von der Schwerkraft in ihre Achselhöhlen gezogen, ihr Bauch wölbte sich wie der gekrümmte Rücken eines Wales, der die Wasseroberfläche zum Luftholen durchbrach. Ihre schweren Beine hatte sie über die Rückenlehne gelegt, so dass ein leichter Luftzug ihre noch feuchte Scham streifen konnte.
Sie hörte, wie Hengst27 den Reißverschluss seiner Hose hochzog und die Jacke vom Sessel nahm.
„Okay, ich geh dann mal.“
Sie hob nur leicht die Hand und entließ ihn mit einem zustimmenden Laut. Für ein Wort reichte es nicht.
Er druckste noch einen Moment herum, dann: „Nichts für ungut. Man sieht sich!“
Die Tür fiel ins Schloss.
Leena wurde wieder unsichtbar. Sie öffnete die Augen. Ihre Welt breitete sich vor ihr aus, noch befremdet durch den zurückgelassenen Duft, doch es war wieder die ihre. Das kräftige Rot ihrer Wände, die um die Anlage verstreuten Plattenstapel, die auf kleinen Beistelltischen stehenden Pflanzen, die bunten Kissen, die auf den Sesseln lagen, die überall herumliegenden Bücher, die rätselhaften Bilder von sterbenden Tieren an den Wänden.
Sie brauchte nur noch ein Fenster zu öffnen und er würde entlassen sein, würde sich zu den anderen Unsichtbaren gesellen, die in ihrem Adressbuch nur als Beweis ihrer eigenen Sichtbarkeit konserviert wurden. Wiedersehen würde sie ihn nicht, genauso wie sie all die anderen nie wiedergesehen hat.
Sie sperrte sie, sobald sie das Haus verlassen hatten.
Sie wollte es so. Sollte sie je lieben, sollte es nicht auf diese Weise angefangen haben.
David hatte einmal gesagt, sie hätte eine alte Seele.
Sie hatte sich in dem Moment noch nackter gefühlt, als sie eh schon war. Er hatte vor ihr gesessen, sein Geschlecht zwischen ihnen. Er hatte sie an den Händen gehalten und sie nur angesehen.
Schon als sie ihm damals die Tür geöffnet hatte, ahnte sie, dass dieses Treffen anders verlaufen würde.
Kurz wollte sie ihrem Instinkt folgen und die Tür schließen – ohne ihn hereingelassen zu haben. Ihre anerzogene Höflichkeit, aber auch ihre Lust hinderten sie daran.
Und nun saß sie da, fiel in seine Augen und hätte weinen mögen, weil sie wusste, dass er der Eine hätte sein können. Das sich alles auf eine bestimmte Weise richtig anfühlte – authentisch.
Es war gar nicht sosehr was er sagte. Vielmehr war es die Art, wie er sie berührte - wie er sie ansah. Er hatte vor ihr gesessen und ihr einen Blick gestattet – in sein Herz, in seine Seele - einfach so, ohne Ansprüche zu stellen, ohne etwas zu verlangen. Sie schien für ihn in diesem Moment die Zeit zu sein. Und doch, sie hatte ihre Regeln. Sie wollte nicht so beginnen, sie wollte nicht in die Falle tappen. Wollte nicht diese Momente mit Gefühl verwechseln und eine von jenen erbärmlichen Frauen sein, die nicht wussten, wann man aufhören muss.
Als er hatte gehen müssen, tat sie so als schliefe sie. Am Ende hatte sie ihn ausgeschlossen, wie sie all die anderen ausschloss.
Sie stand auf, ging hinüber zu einem der Fenster und schaute hinaus. Die einfallende Sonne wärmte ihre Haut. Sie strich sich über ihre ausladenden Hüften, spürte den weichen Konturen ihres Körpers nach. Hengst27 verließ sie, lief an ihren Beinen hinunter, verging.
Sie öffnete das Fenster, zog sich etwas über und setzte sich an ihren Arbeitstisch.
Schon als sie ihm die Tür geöffnet hatte, hatte sie gewusst, was er sein würde. Sie begann das vor ihr liegende Holzbrett zu grundieren und während sie im Geist immer und immer wieder den Berührungen, den Bewegungen und den Säften nachging, ihm noch einmal gestattete, von ihr Besitz zu ergreifen, mischte sie Farben, trug Schicht um Schicht auf, ließ ihn Gestalt werden, ließ sich selbst Gestalt werden.
Am Ende stellte sie den letzten Pinsel in das Wasserglas, griff nach dem Laptop, öffnete ihn.
Sie prüfte ihre Emails – offensichtlich hatte Hengst27 doch noch etwas zu sagen. Sie löschte die Mail – ungelesen, verweigerte ihm weiteren Zugang zu ihr und klappte den Laptop wieder zu.
Vor ihr auf dem Tisch lag das fertige Bild.
Ein Fisch ist es geworden, am Strand liegend, die Wellen lecken noch an seinem Schwanz, seine Kiemen sind weit geöffnet, das Maul schnappt nach Luft. Das Schillern seiner Schuppen scheint schon zu vergehen.
Von David hatte sie kein Bild gemalt. Ihn hatte sie nicht sterben sehen können.
Donnerstag, Oktober 05, 2006
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