Für mich genug Information, um den Film trotz Überlänge und später Laufzeit schauen zu wollen. Statt drei einfach zwei Filme geschaut und vor „Der freie Wille“ noch Luft getankt und Speisen verzehrt, um bei Kräften zu bleiben. Es hat funktioniert. Ich bin trotz widriger Umstände nicht eingeschlafen.

Betty zum Beispiel hat aufs Schauen verzichtet, weil sie von sich aus beschloss, das dieser Film sie fertig machen würde. Nach der Eingangsszene wusste ich warum.
Die ersten vielleicht zehn bis fünfzehn Minuten zeigt der Film eine Vergewaltigung. Vom Auslöser über das Auflauern bis zum Vollzug. Wenig gnädig in der Verwendung von detaillierten Aufnahmen wird der Zuschauer Zeuge des kompletten Vorgangs. Nichts wird nur in Schreien oder einer bestimmten Perspektive verhüllt. Jürgen Vogel gibt alles, na, fast alles, ansonsten wäre es wohl tatsächlich das gewesen, wonach es aussah.
Nachdem der von ihm gespielte Theo Stoer nach neun Jahren aus dem Vollzug in ein betreutes Wohnen entlassen wird, beginnt für ihn der eigentliche Kampf. Der Kampf mit Sich, mit seinen Dämonen um einen Platz in der Welt, der auch für ihn einen Sinn ergibt. Er droht schon zu scheitern und alles Erarbeitete aufzugeben, als er Netti, die Tochter seines Chefs trifft.
Netti, von ihrem Vater als Ehefrauersatz psychisch missbraucht, ist mit 27 endlich ausgezogen, um ihr eigenes Leben zu führen.
Netti und Theo verbindet die Unfähigkeit Nähe aufzubauen und zu ertragen - was ihr gemeinsames Fortkommen nicht einfacher macht. Als sie vorsichtig beginnen, sich anzunähern, muss Netti nach Belgien zu einem Praktikum. Für beide scheint es das Ende zu sein. Jeder für sich tritt wieder in seine Umlaufbahn ein.
Nicht nur Netti sondern auch sein Betreuer und Freund ist inzwischen fortgegangen und so kämpft Theo nun auch äußerlich allein seinen Kampf.
Als er droht zu scheitern, flüchtet er zu Netti nach Belgien. Zusammen schaffen sie es die Mauern, die zwischen ihnen stehen, einzureißen. Beide öffnen sich für eine Beziehung, die ihnen einen Aspekt des Lebens ermöglichen soll, der für sie bisher unerreichbar schien – die Normalität.
Es geht natürlich noch weiter – nicht umsonst ist der Film knapp drei Stunden lang (von sechs Stunden heruntergekürzt, wie man später vom Regisseur Matthias Glasner erfahren durfte).
Generell ist zu sagen, das es ein wirklich guter, wenn auch verstörender Film ist, der auf Erklärungen verzichtet hat und vielleicht gerade auf diese Weise die Isolation, Einsamkeit und den nicht endenden Kampf gelungen darstellt. Für mich hat er es geschafft, einen Täter „sympathisch“ zu machen ohne seine Taten zu verstehen oder gut zu heißen. Das Gefühl ihm gegenüber bleibt ambivalent, wie es seine Gefühle sich selbst und der Welt gegenüber auch sein dürften.
Es gelingt dem Film, sich der reißerischen Schlagzeilen, die ein solches Verbrechen begleiten, zu entziehen, ohne die Monstrosität der Tat als solcher zu schmälern und dennoch den Täter als das zu begreifen, was er ist – ein Mensch.
Die knapp drei Stunden waren für mich gefühlte zwei, trotzdem ist der Film alles andere als kurzweilig.
Allein die schauspielerische Leistung sowohl von Jürgen Vogel als auch von Sabine Timoteo ist absolut überragend. Nie habe ich solch tierische Laute aus der Kehle eines Menschen vernommen, wie Sabine Timoteo sie ausstieß. Das geht im wahrsten Sinne des Wortes unter die Haut. Mir standen die Haare zu berge.
Nichts für zarte Gemüter – dennoch unbedingt sehen.

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