Dienstag, September 12, 2006

Fünf Jahre später

Ich gebe es zu, auch wenn allgemein die Meinung vorherrscht, das die Bilderflut uns alle abgestumpft hat, ich habe sie gesehen, die Reportagen, Dokumentationen, die Blicke zurück, die Bilanzierungen. Den Film der Gebrüder Naodet erneut zu sehen, ließ mich genauso blass um die Nase zurück wie er es beim ersten Mal getan hat und beim zweiten mal und beim dritten mal.... Nein, das ist nicht Betreiben einer Art von Schauertourismus. Vielmehr ist es der Versuch endlich zu fassen, was mir bis heute unerklärlich ist.

Inzwischen brennen nicht mehr zwei Türme, dafür jedoch die Welt. War zur Zeit der Anschläge das Selbstmordattentat als solches ein bekanntes Phänomen, bezog man es zumeist jedoch auf den Nahost-Konflikt und versprengte islamistisch-fundamentalistische Gruppierungen, die in ihren Regionen agierten.
Natürlich war schon vorher der Hass dieser Gruppierungen, teilweise ganzer Staaten auf den Westen zu spüren, doch konnten wir uns am Fernsehschirm davon überzeugen, das uns all diese Bilder aus einem Reich mit dem Namen „Weit weit weg“ erreichten und das ein Nicht-Stellung-Beziehen diese Art von Krieg von uns fernhalten würde.
Die Unermesslichkeit des 9/11 zeigt uns in vieler Hinsicht, wie verletzlich wir sind, aber dieser Tag zeigt uns auch, das wir verpflichtet sind, Stellung zu beziehen, unseren Kopf zu benutzen, kritisch zu bleiben und egal welchen Glaubens wir sind, so denn wir überhaupt einen haben, uns auf Güte, Menschlichkeit, Feingefühl und Respekt im Umgang mit Kulturen und Fremdartigkeit zu besinnen, jedoch auch das Recht haben, dieses von der anderen Seite ebenso einzufordern.
In Zeiten, in denen als Antwort auf zwei brennende Türme nacheinander zwei ganze Staaten angezündet worden sind, deren Probleme soviel komplexer sind, als die Frage nach einer Demokratie und in denen ein Ende des Brands nicht abzusehen ist, wünsche ich mir auf beiden Seiten Menschen an den entsprechenden Positionen, die in der Lage sind, auch die andere Wange hinzuhalten. Menschen, die im Angesicht eines übergeordneten Ganzen bereit sind, sich zurückzunehmen, ihre Armeen zurückzunehmen, um so endlich eine sinnlose Spirale von Gewalt und Gegengewalt zu durchbrechen und diese durch an die Kultur angepasste Strukturen und einen vernünftigen Diskurs zu ersetzen.
Das es nicht gleich Jesus sein muss, hat man zuletzt an Ghandi, Nelson Mandela und Frederik de Klerk gesehen.

Im Waschsalon wurde die Frage nach der persönlichen Veränderung durch diesen Tag gestellt. Heute morgen gelesen, schleppe ich diese Frage durch den Tag und versuche Bilanz zu ziehen.
Viel hat sich für mich verändert, das meiste ist nicht als Konsequenz dieses Tages zu sehen, doch ist ein anderes Bewusstsein entstanden, das bei so mancher Veränderung oder Entscheidung, die ich anstrebe, mitschwingt.
Ich ziehe aufs Land und tatsächlich erwische ich mich dabei, erleichtert festzustellen, das ich mich mit diesem Schritt von einer Gefahrenzone räumlich entferne.
Die Frage nach dem Anreiseweg zur Frankfurter Buchmesse war schnell zu beantworten, als die Nachricht von den missglückten Kofferbombenanschlägen bekannt wurde. Tatsächlich stehen bei mir arabisch wirkende Menschen nach wie vor nicht unter Generalverdacht, doch betrachte ich entsprechende Institutionen und das Festhalten an einem Glauben grundsätzlich skeptisch, auch wenn ich damit sicher vielen Unrecht tue. Das mag aber auch daran liegen, das ich zwar nicht generell die Existenz Gottes ausschließe, die Nichtexistenz ist sowenig bewiesen wie die Existenz, doch liegt mir der Gedanke näher, selbst verantwortlich zu handeln und auch zu ertragen, das Leid nicht grundsätzlich erklärbar ist.
In mancher Hinsicht fühle ich mich verwundbarer seit diesem Tag, aber dieses Gefühl können mir weder Sicherheitskameras noch Skymarshalls nehmen, denn der Fatalismus einen Menschen, dessen einziges Argument für seine Existenz sein Tod und der möglichst vieler „Ungläubiger“ ist, ist vielleicht als Einzelner aufzuhalten, doch ist mir bei jedem Bericht über einen vereitelten Anschlag bewusst, dass damit nur ein Kopf der Hydra abgeschlagen worden ist.
Ich, die im Grunde meiner Geburt nur ein einziges Argument sehe, nämlich die Welt um mich herum mit den mir zu Verfügung stehenden Mitteln des Hier und Jetzt vielleicht für den einen oder anderen zu einem besseren Ort zu machen, gestehe, das ich mich in diesem Bereich machtlos und verletzlich fühle, denn mit welchem Argument des Hier und Jetzt kann man jemanden aufhalten, der im Geist schon lange gegangen ist?

7 Kommentare:

mq hat gesagt…

Ich bin mir nicht sicher, ob mich die Thematik wirklich jemals berührt hat. Aber Leuten, die jederzeit rücksichtslos zuschlagen und auch dann noch in die Weichteile treten, wenn man längst am Boden liegt, die zweite Arschbacke hinzuhalten, entspricht nicht meiner persönlichen Haltung. Und auf politischer Ebene halte ich es für richtig, seitens des Staates im Rahmen der demokratischen Grundordnung ohne Empathie mit den Tätern gegen radikale Gewalt vorzugehen - egal aus welcher Richtung sie kommt.

schafswelt hat gesagt…

Gegen radikale Gewalt vorzugehen halte ich nicht generell für den falschen Weg - im Gegenteil - ich bin jedoch der Meinung, das es eine Frage der Mittel ist. Die Betonung muss auf demokratischen oder besser menschenrechtlicher Grundordnung liegen und ein präventiver Angriffskrieg, in dem vor allem Leid über Zivilisten, sogenannter Kollateralschaden, gebracht wird, erfüllt in meinen Augen nicht diese Maßgabe und verhärtet lediglich die Fronten. In diesem Zusammenhang wünsche ich mir jemanden, der in dem Moment der Krise überlegter und vielleicht auch defensiver agiert, um auf lange Sicht dem Konflikt den Nährboden zu entziehen - egal auf welcher Seite derjenige steht.

bugsierer hat gesagt…

schönes blog machst du da. gut gedacht, gut gemacht. gratuliere. werde wiederkommen und mich genauer umsehen. aber eine frage hätt ich schon mal: sollte dein blog nicht heissen "eine städterin lebt im dorf"?

mq hat gesagt…

Gewalt darf nicht als Kollektivstrafe angewendet werden. Mir ging es beim Verfassen des Kommentars nicht um eine Rechtfertigung von Angriffskriegen.

schafswelt hat gesagt…

@ henusode: Da sag ich doch mal ganz erfreut: Danke schön für das Kompliment! Du hast recht mit der "Städterin". Als ich den Blog eröffnet habe, war ich noch völlig unwissend, wie das alles funktioniert und so ist dieser Titel und die entsprechend umständliche Url herausgekommen.

@ Markus Quint: Hätte mich auch gewundert...:-). Mir ging es beim Schreiben des Posts vor allem um das Geschehene und die daraus entstandenen Konsequenzen, eben diese Form der Kollektivstrafe, von der ich befürchte, das sie am Ende eine Strafe für uns alle sein wird, so denn keiner gewillt ist, die Muster zu durchbrechen.

bugsierer hat gesagt…

tja, da erinnere ich mich auch noch gut und gerne dran, was für ein greenhorn ich vor ein paar monaten war.
die url ist jetzt halt so, das ist ja nciht so schlimm. du kannst ja den titel im header in städterin umtaufen. die url wird ja eh meistens per link oder copy/paste verbreitet.

schafswelt hat gesagt…

Danke für den Tipp. Mein Blog feiert eh bald einjähriges Bestehen. Das wird zum Anlass genommen, ein paar Änderungen vorzunehmen...:-)