Dienstag, Februar 28, 2006

„Das rote Kleid rülpste und wir gingen nach Hause“

Es müssen mindestens 10 Jahre, wenn nicht gar 12 oder 13 Jahre her sein, da schloss sich für uns der Vorhang hinter einem schwarzen Kleid mit schulterlangen, blonden Locken.

Wie immer wurde an jenem Abend viel geraucht (auf der Bühne), viel getrunken (auch auf der Bühne) und zu Terry Trucks Begleitung am Klavier wurden wunderbare Chansons nach unten gereicht, unterbrochen von herrlich skurillen Geschichten der Dee.
Unvergessen ist „Der Supermarkt“ und noch Tage danach dachte man bei dem Begriff Avocado nicht zwangsläufig an Essen.

Nach all den Jahren ließen wir uns also am letzten Sonntag nieder an einem der vorderen Tische des Tivoli, bestellten die Getränke und sondierten den Raum. Das Publikum hatte sich auf jeden Fall verändert.
Früher vor allem Schwule jeder Altersklasse mit ihren Freunden und Freundinnen, zwischendrin ein paar Lesben und vereinzelt ein paar Hausfrauen, die die Karte vermutlich von ihren schwulen Söhnen geschenkt bekommen hatten, waren an diesem Abend vor allem Vorstadthausfrauen, Tussis und Heteroehepaare spätmittleren Alters im Zuschauerraum zu finden. Das Publikum war nicht mit ihr alt geworden. Sie hatte ein neues bekommen.
Erst zu Weihnachten (wir hatten die Karten geschenkt bekommen) hatte ich erfahren, das sie nicht mehr mit Terry Truck zusammen arbeitete und das ihr jetziges Programm von Bass und Akkordeon begleitet wurde.
Wir waren gespannt.

Es wurde dunkel, die Scheinwerfen gingen an und aus dem Vorhang schlüpften die beiden Musiker und setzten sich auf ihre Plätze, Jubel brach los und verstärkte sich als sich der Vorhang erneut bewegte.
Heraus trat ein Mann, verkleidet als Frau, die ein Mann sein wollte.
Kurze Haare, deren Blond langsam im Grau verging, einen grauen, Business-Hosenanzug mit Zweireiher, bequeme Damenslipper an den Füßen und eine rote Samtstola um die Schultern gelegt. Geschminkt wie immer, dezent um die Augen und abgesehen von dem notwendigen Theater-Make-up nur rote Farbe auf den dünner werdenden Lippen.
War ich – war sie so alt geworden? War das letzte Mal wirklich so lange her?
Kaum stand sie - er am Mikro und sang die ersten Zeilen war sie wieder da – die Dee.
Mit dem Evergreen „Wenn ich mir was wünschen dürfte“ eröffnete sie einen Abend mit wunderbaren Geschichten, skurillen Stilblüten, vielen Getränken, noch mehr Zigaretten (welche dem Publikum gemeiner weise während der Vorstellung untersagt sind) und einer wunderbaren musikalischen Begleitung.
Die Reise begann mit „seniler Bettflucht“, ihrer Art dem Tod jede Nacht vorzeitig von der Schippe zu springen, führte uns über ein verunfalltes Wettrennen mit ihrer Freundin Irmtraut (Tochter aus richtig gutem Haus) und dem Satz: „Man muss den Mob auch mal stehen lassen können“ in die Arme von Männern im Libanon und Paris (in welchem die Gastronomie im Gegensatz zu Deutschland übrigens nicht mit Kontrolle verwechselt wird) wieder heim zu Übersprungshandlung (Wein trinken und auf Wodka warten)und -dialog, welchen ich an anderer Stelle vereinfacht wiedergeben möchte.

Zu Beginn des zweiten Teils dann auch im Kleid, einem roten, passend zur Samtstola, schon ein wenig angeschickert - schön wie eh und je.

Als ein Rülpser ihr entfährt, kichert sie und spricht: „Und dann rülpste das rote Kleid und wir gingen nach Hause.“ Natürlich gingen wir noch nicht, sondern freuten uns über Zugaben, die den Plan des Theaters, das Ende auf 22.00h zu terminieren gründlich durchkreuzten. Aber mal ehrlich, nach all den Jahren, kennen wir sie anders?

Nein, auch wenn es mir endlich leicht fällt „er“ statt „sie“ zu sagen.
Posted by Picasa

1 Kommentar:

pinksonly hat gesagt…

Endlich muss ich mich doch melden, die bisher stille aber begeisterte Leserin all deiner blogs und Einträge. Ich freu mich immer über was Neues!